Rehwildjagd: Und immer lockt das Weib!
Grundsätzliches zum weiblichen Abschuss
Die korrekte Ansprache eines Bocks will gelernt sein,
Also wird man zusätzliche Auswahlkriterien heranziehen müssen. Einige als untrügerisch hinzugezogene Merkmale entpuppen sich bei näherer Betrachtung jedoch ebenfalls als unsichere Indizien. Beispiele gefällig? Das Verfärben im Mai bis Frühsommer hängt davon ab, in welchem körperlichen Zustand die Stücke aus dem Winter gekommen sind bzw. ob sie Kitze innehaben. Schmalrehe werden deshalb meist früher rot! Aber auch nichttragende Geißen oder Geltgeißen können früh verfärbt haben, weil ihre Hauptenergie nicht für das Wachstum der Föten gebraucht wird, sondern in einen zeitigen Haarwechsel fließt. So wird eine alte Tante manchmal als jung und gesund angesprochen, während eine noch graue Geiß im besten Alter mit zwei Kitzen als abschusswürdig klassifiziert wird.
Darüber hinaus kann beim Ansprechen schon ein anderer Blickwinkel über Wohl oder Wehe entscheiden: Breit stehende Rehe wirken immer größer als spitz stehende. Ich kann mich an eine Beobachtung erinnern, bei dem Körperbau und Haupt einer einwandfrei identifizierten jüngeren Geiß – von vorne betrachtet – plötzlich wie bei einem Kitz aussahen. Im Erregungszustand bei aufgestellten Haaren wirkt ein Stück stärker, während ein rangniederes Tier sich immer klein und „unsichtbar“ machen will. Man muss daher sehr gewissenhaft alle abgreifbaren Merkmale ansprechen und besser einmal zu viel hinschauen.
Früher Vogel bei den Schmalrehen
Bis Mitte Juni zeigt auch eine Geiß, die gesetzt und sogar gerade gesäugt hat, zwischen den Keulen an, wie es um ihren Familienstand bestellt ist. In dieser Zeit sind sie zudem unverträglich gegenüber dem eigenen Nachwuchs aus dem Vorjahr – sollte dieser zu nahe kommen, wird er verjagt; ebenfalls ein gutes Indiz, um anzusprechen.
Die frühe Jagd hat noch einen weiteren großen Vorteil: Sie ist leicht, und die überschaubare Zahl an Ansitzen stört das andere Wild weniger. Denn Jagddruck bedeutet Stress, und der wächst zum Ende des Jahres mit den Bewegungsjagden ohnehin an. Gestresste Tiere haben wiederum einen gesteigerten Energiebedarf, der durch Verbiss in den Dickungen und die Verjüngung gedeckt werden muss, weil sie nicht mehr ungestört umherbummeln können.
Ab Mitte Juni wird es dann deutlich schwieriger, da nun auch die gesunden Schmalrehe körperlich deutlich aufgeholt haben und ihren Müttern und Tanten ähnlich sehen. Darüber hinaus geht die Ausprägung des Gesäuges bei den Geißen zurück, schließlich beginnt der Nachwuchs sich mehr und mehr auf pflanzliche Nahrung umzustellen. Das startet mit etwa vier Wochen. Mit zunehmendem Alter steigt die Pansenkapazität kontinuierlich an, und der Nachwuchs wird nach und nach von der Milch entwöhnt.
Kitzabschuss – jetzt aber ran an den Speck
Deshalb sollte sich der Jäger Ende August schon nach den passenden Geißen und Kitzen umschauen und sofort im September mit dem Jagdaufgang Strecke machen. Im ersten Schritt sind alle schwachen Kitze ohne Rücksicht auf das Geschlecht zu erlegen. Allein der körperliche Zustand ist als Abschusskriterium entscheidend. Kümmern beide Kitze oder gar Drillinge, entnimmt man idealerweise gleich den ganzen Familienverband.
Geiß und Kitze muss man nach dem Setzen stets im Auge behalten. Ab September alle schwachen Kitze, bei zwei Kitzen immer das Schwächere erlegen.
Ein Ansatz namhafter ostdeutscher Jagdwissenschaftler spricht sich dafür aus, dass alle Geißen am besten nur ein Kitz haben sollten – sie plädieren für den Abschuss des Schwächeren oder bei Gleichstarken immer des Geißkitzes. Generell sollte bei Zwillingskitzen stets so früh wie möglich geschossen werden. Das hat nichts mit mit Milchmengen oder Ähnlichem für das verbleibende Kitz zu tun. Die Geiß braucht bei nur einem Kitz einfach weniger Energie für die Milchproduktion, sodass sie ihre Energie schneller in den Haarwechsel und den Feistaufbau investieren kann – mit der Folge, dass sie gut durch den Winter kommt und damit die künftige Kitzgeneration stärker wird.
Bis Ende Oktober sollten im Idealfall 60 bis 70 Prozent des weiblichen Abschusses in der Wildkammer hängen. In den Herbsttagen nutzt man vor allem warmes, sonniges Wetter, da das Rehwild während des Haarwechsels empfindlich auf kühl-feuchte Witterung reagiert. Bis Mitte November herrscht dann die übliche Flaute. Erste Nachtfröste und Schnee verändern die Lage wieder positiv. Die Rehe bummeln dann gern morgens umher oder besuchen in den Mittagsstunden sonnige Plätze.
Von jungen Gören und alten Tanten
Der ältere weibliche Nachwuchs wird dabei geduldet und belegt die Randbereiche des Mutterterritoriums. So bewohnen mehrere miteinander verwandte Familien das sogenannte „Sippenrevier“. Jüngere, rangniedere Geißen weichen immer den älteren aus und belegen die unattraktiveren Zonen. Wegen dieser schlechteren „Wohnräume“ hinken deren Kitze in der Entwicklung hinterher, weil der Ernährungszustand der Mutter mitentscheidend ist.
Erlegen tun wir schwache Geißen mit schwachem Nachwuchs, spät setzende Geißen samt Kitze, überalterte Geißen und Geltgeißen sowie im Herbst auffallend spät verfärbende Stücke.
Diese Zusammenhänge berücksichtigend, ergibt sich für den Geißenabschuss – natürlich immer Kitz(e) vor der Geiß – folgende Empfehlung und Rangfolge: 1. schwache Ricken und ihre schwachen Kitze, 2. spät setzende Geißen im Idealfall zusammen mit dem Nachwuchs (der geht sonst schlecht in den Winter), 3. überalterte Ricken und echte Geltricken (dauerhaft unfruchtbar) und 4. Mütter von schlechten Jährlingen erlegen.
Sollten Sie beim weiblichen Abschuss deutlich hinterherhinken, können Sie den einen oder anderen Punkt aus dem Beitrag ja nächstes Jahr mal in der Praxis ausprobieren. Doch bitte stets daran denken: Der erste Eindruck, den ein Stück beim Ansprechen hinterlässt, ist meist der richtige! Gibt es nur den leisesten Zweifel, bleibt der Finger gerade und die Kugel im Lauf.
JAGDZEITEN EFFEKTIV NUTZEN
Schmalrehe
April (wo erlaubt), Mai bis spätestens Mitte Juni konsequent
die Einjährigen erlegen.
Kitze
Gleich ab September alle schwachen Kitze schießen.
Bei Zwillingen immer das schwächere Kitz erlegen.
Bei schwachen Kitzen und schwacher Geiß möglichst den
ganzen Familienverband entnehmen.
Bis Ende Oktober sollten 60 bis 70 Prozent des weiblichen
Abschusses getätigt sein.
Geißen
Schwache Geißen mit schwachem Nachwuchs.
Spät setzende Geißen samt Kitze.
Überalterte Geißen und echte Geltgeißen.
Im Herbst auffallend spät verfärbende Geißen (meist krank oder uralt).
Mütter von schlechten Jährlingen und Schmalrehen.
Darüber hinaus sollten alle Stücke erlegt werden, die eine
struppige, glanzlose Decke oder einen verschmutzten, verklebten
Spiegel haben und/oder solche, die husten (Rachendassel-Befall).
Bilder: 2x Bob Brewer - unsplash, Bence Kovacs - unsplash, FN, SN