Haben Sie Lust auf intensiveres Jagen? Dann hocken Sie nicht weiter auf Kanzeln herum. Probieren Sie doch einmal die Jagd auf Augenhöhe mit dem Wild beim Anstand oder vom Bodensitz aus!

Kleinere Wolken dunkeln immer wieder das Mondlicht ab, während es leicht aus Westen bläst. Ideales Wetter für die Nachtpirsch mit kurzen Anstand- und Ansitzphasen. Ich habe bereits zwei kleine Waldwiesen revidiert. Nun pirsche ich weiter Richtung Waldrand zu einem kleinen Bodensitz. Vor mir ein Wiesenhang und rechts weitere Grün- und Weideflächen. Doch halt, was ist das? Sieben dunkle KlumpenSauen!

Ich lasse Ballast zurück und pirsche nur mit Fernglas und Büchse gut 150 Meter auf die Schwarzkittel zu. Der Wind bläst von vorn, der dunkle Boden verschluckt meinen Schatten. Meter für Meter komme ich näher. Dann in Zeitlupe die letzten 60 Meter über den Acker bis zum Zaun. Ich lasse mich in Zeitlupe niedersinken, streiche an einem Holzpfosten an, sauge mich mit dem Leuchtpunkt auf dem Blatt eines breit stehenden Frischlings fest und lasse fliegen. Im Knall der .308 ist die Bühne leer! Ich warte ein paar Minuten, schlüpfe unter der Zaunlitze durch stehe kurz darauf vor dem verendeten Frischling. Doch zuerst kühle ich das nachträglich aufkeimende Jagdfieber mit einem Pfeifchen und einigen Gedenkminuten an diese spannende Jagd auf Augenhöhe…

Die Strenge unserer Altvorderen

Vielleicht werden der Anstand und das Jagen vom Bodensitz aus wieder „in“! Denn es ist die bewusste Entschleunigung, um das, was Jagd ausmacht, intensiver zu erleben; auch wenn es effektivere Jagdmethoden gibt. Wir nutzen ohnehin schon 1000-Metersekunden-Büchsen mit Hochleistungsoptiken, die die Jagd immer anonymer machen, weil viel weiter geschossen wird. OFM Rudolf Frieß schrieb schon 1957: „Man verlässt sich auf die hochgezüchtete bequeme Optik und Ballistik. Das Wild hat da keine Chance mehr! Dieser Kampf ist nimmer ehrlich!

 

Die Klassiker halten so manchen Jagdtipp bereit, den man im Internet nicht findet und der intensivere Jagd bietet als die Pirsch mit Wärmebild und Nachtsichtgerät.

Im Jahr 1922 zog bereits Hermann Löns hart ins Gericht: Bei der Jagd von der „Eifelturmanlage“ (gemeint war der Hochsitz) seien die Waffen nicht gut und gleich. Denn den wichtigsten Sinn, den das Haarwild hat, die Wittrung, stehle man ihm. In „Kraut und Lot“ schrieb er demjenigen, der den Bock nur vom Hochsitz aus zu jagen verstehe, müsse von Rechts wegen der Jagdschein abgeknöpft werden. Vielleicht sind die Worte der beiden Altmeister zu hart. Aber die Jagd am Boden bietet ehrliches, intensives Waidwerk. Und sind es nicht gerade die Erlebnisse, die das Salz in der Suppe des (Jäger)lebens sind?

Auge in Auge mit dem Wild

Noch heute gilt die Pirsch als die Königsdisziplin. Aber sie macht nur dort Sinn, wo man übersichtliches Gelände, Schläge, Wiesen von sicherer Deckung aus mit gutem Wind erreichen, einsehen und beschießen kann. In unübersichtlichem Gelände kommt man ohne Hochsitze nicht aus. Der Anstand ist eine spannende Mischform.

Eine alte Jägerregel besagt: „Man soll eben überhaupt nicht pirschen gehen, sondern pirschen stehen!“ Denn wer in der freien Natur still steht oder besser sitzt, ist im Vorteil. Alle Tiere eräugen am schnellsten Bewegungen. Das Unbewegte fällt weniger auf, besonders wenn die Farbe kaum aus der Umgebung heraussticht. Dieser so genannte Anstand kommt von anstehen, obwohl man dabei meistens hockt. Bleiben Sie doch einfach mal an kritischen Stellen eine Viertelstunde sitzen und mustern das Gelände aufmerksam. Je unübersichtlicher, desto länger und gründlicher. Auf den ersten Blick wirken solche Ecken wildleer, nach fünf Minuten sieht man plötzlich einen roten Fleck, dann ist er wieder weg, ein anderer taucht auf. Nach 15 Minuten hat man festgestellt, dass dort überall Bewegung ist. Wäre man daran vorbeigepirscht, hätte man im besten Fall nichts gesehen, im schlechtesten Fall alles vergrämt. 

 

Pirschen stehen ist besser als pirschen gehen! Schon 15 Minuten
später merkt man, dass überall um einen herum Bewegung ist!
 

Beim Anstand kann man ruhiger beobachten. Auch weiß der Schütze in der Regel noch, von wo aus und wohin er ungefähr geschossen hat. Das ist bei manchem Weitschuss von der Kanzel aus schwer zu sagen. Wie bereits oben erwähnt, hockt bzw. sitzt man auf dem Anstand. Dazu sind einfache Ansitzgelegenheiten schnell hergerichtet. Das erfolgt auf der Erde, natürlich in guter Deckung mit gutem Wind. Letzterer als Verbreiter der menschlichen Wittrung ist bei allen Jagdarten von herausragender Bedeutung. Wer mit ihm scharf rechnet, wird belohnt.

Als Deckung genügt ein Schirm aus Zweigen. Die hat man vorher an anderer Stelle geschnitten, unten angespitzt und steckt sie vor oder um sich in den Boden – als Sitzgelegenheit dient ein Stubben oder Stein. An echten „hot spots“, die man regelmäßig besuchen will, schlägt man Pflöcke in den Boden und nagelt ein Brett drauf. Das geht am besten in einem innen ausgeschnittenen dichten Busch oder Jungwuchshorst, in den man Blick- und Schusslöcher schneidet. Natürlich kann man auch einen einfachen Bodensitz bauen. 

Auf Schwarz- und anderes Schalenwild

Manchmal hat der Anstand auch am Tag gute Aussichten. Etwa an Tränken, wenn das Rotwild in der Feistzeit diese während der Mittagszeit aufsucht. Je weniger Wasser im Revier, desto aussichtsreicher. Für den Anstand auf Schwarzwild sind drei Gelegenheiten am aussichtsreichsten: 1) Sauen suhlen gerne, speziell dann, wenn sie nachts ihren Fraß im Getreide gefunden haben. Der Frühansitz an der Suhle lohnt sich dann. 2) Wenn Sauen nach Erdmast brechen und sie ungestört bleiben, haben sie die Angewohnheit, dort am Abend weiter zu brechen. Entscheidend ist, dass man morgens ein frisches Gebräch findet. 3) Schwarzwild sucht Masteichen und -buchen bzw. Wildäpfel mit großer Regelmäßigkeit auf. Sie sind darauf so „heiß“, dass sie ihre Kessel schon früh am Abend verlassen oder sogar bei Tageslicht auftauchen. 

 

Suhlen sind "hot spots" bei der Jagd auf Augenhöhe – im Hochsommer 
lohnen sich Pirsch und Anstand allemal.

Beim übrigen Schalenwild stellt man sich nicht auf den Wechsel, sondern mit 60 bis 80 Schritt Abstand zum Wechsel. So kann man ansprechen, einen Schuss auf breit stehendes Wild anbringen – oder stört im Zweifelsfall nicht. Ausblick und Deckung sind wichtig. Während man beim Hasenanstand vor dem dicken Baum sitzt, sollte man beim Schalenwild dahinter Platz finden, schließlich äugen einige Arten hervorragend, zudem kann man den Baum zum Anstreichen nutzen.

Der Anstand auf den Rehbock bleibt unsicher, da er schlecht den Wechsel hält. Grüne Wiesen im Wald sind ein Magnet, aber man weiß nie, wo er austritt. Am besten nach einem Regenguss, wenn es vorher länger trocken war. Darüber hinaus empfiehlt sich der Mai, da es das Rehwild in dieser Jahreszeit stark nach frischem Grün drängt. Zur Blattzeit lohnt sich mehr der Wald oder lauschige Wiesen im Feld, die mit Hecken umstanden sind – hier garantiert der Anstand mit Blatter spannende Erlebnisse.

 

Blattzeit funktioniert nur vom Boden aus, denn welches Schmalreh
fiept schon aus fünf Metern Höhe?

Beim Damwild ist es schwieriger, da es durch seine unruhige Art kaum Wechsel hält. Hier kommen nur bestimmte Wildäcker, Blößen und Wiesen in Frage, die es gerne aufsucht und wo man es durch Beharrlichkeit erlegen kann. Recht sicher hingegen hält Rotwild gewohnte Wechsel. Der Anstand ist überall dort vielversprechend, wo Ruhe herrscht. Nur den faulen Feisthirsch kann man in unmittelbarer Nähe seiner Äsungsplätze bejagen. Alles übrige Rotwild verlässt noch vor Büchsenlicht die Äsungsflächen, um auf seinen Wechseln zu den Einständen zu ziehen. Hier kommen sie oft bei gutem Büchsenlicht vorbei.

Behutsames Vorbereiten des Standes

Wichtig ist, wie man zu seinem Stand gelangt. Hier müssen Umwege in Kauf genommen werden. Denn nichts ist übler, als wenn man in der Nähe befindliches Wild beunruhigt, indem man durch die Örtlichkeit pirscht oder den Wechsel beläuft. Denn in ihrem „Schlafzimmer“ reagieren die meisten Wildarten empfindlich auf menschliche Wittrung, während sie auf Forst- und Spazierwegen daran gewöhnt sind.

Am besten ist der Platz schon vorbereitet. Ist das nicht der Fall, ist der Einsatz des Standhauers tabu. Leises Sägen geht, der Stand muss mit dem Fuß freigescharrt werden, sodass der wunde Boden zutage kommt. Nur dann kann man seine Stellung lautlos verändern, falls das Wild aus unerwarteter Richtung anwechselt. Man sollte dem Stand die Treue halten und nicht nach ein paar Minuten meinen, man müsse woanders hin. Schließlich kann das Wild bereits in der Nähe sein.

Das Annähern erkennt man oft schon von Weitem. Da kreischt der Häher, meldet die Drossel, oder die Rotte macht sich früh durch Blasen und Grunzen bemerkbar. Rotwild verursacht gelegentlich ein Poltern, wenn es etwa auf eine offene Wurzel tritt – auch wenn es im Vergleich zu den Sauen fast lautlos kommt. Hirsche schlagen mit den Stangen an oder verursachen Streifgeräusche. Oft aber steht Wild wie von Geisterhand vor einem. Ein hektischer Griff zur Büchse ist dann Gift für den Erfolg. Stattdessen Nerven behalten und langsam in Anschlag gehen. Vor dem Schuss sollte man sich die unmittelbare Umgebung des ausgewählten Stücks verinnerlichen, das Zeichnen genau beobachten und sich die Fluchtrichtung einprägen.

Mit Strategiewechsel zum Waidmannsheil

Nochmal zurückgeblättert im Jagdtagebuch: „An der langen Linie“ hatte ich einen alten Bock ausgemacht. Alles Sitzen auf dem Hochsitz brachte nichts. Jedes Mal, wenn ich aufbaumte, zog mich die Szenerie runter, da ich dort nach zwei Monaten absolut jeden Grashalm kannte. Der Zufall wollte es, dass ich den heimlichen Bock bei einer Kirr-Runde auf einer kleinen Weide in Anblick bekam. Gleich am Abend probierte ich es dort mit dem Anstand und setzte mich mit gutem Wind an den Waldrand auf einen Stubben. Nach einer Stunde endlich Bewegung: ein Schmalreh, im Schlepptau der Gesuchte. Aber beide Stücke wechselten von mir weg. Also niedrigste Gangart und um die Weide rum! Das Schmalreh bekam mich spitz, machte einen langen Träger, sprang ab – der Bock sicherte zu mir. Doch ich hatte schon angebackt und schoss. Auf der Trophäenschau landete er, – wenn auch nicht sonderlich stark, dafür siebenjährig oder älter – unter den besten zehn Böcken!

 

Dieses ungewöhnliche Waidmannsheil hatten wir zu zweit: 
ich den Damspießer, Chris (hier hinter der Kamera) den abnormen Bock!

Sicher ist der Anstand nicht die fängigste Form der Jagd. Dafür aber eine vorzügliche Gelegenheit, den Wildstand kennenzulernen und Kenntnisse über Vorgänge im Revier zu erlangen, die einem sonst verborgen geblieben wären. Wenn nach akkurater Vorbereitung alles wie am Schnürchen geklappt hat, dann hat man intensivstes Jagen auf Augenhöhe mit dem Wild erlebt. Was kann es Schöneres geben?

 

Text: Franziska und Sascha Numßen
Bilder: Kyle Glenn - unsplash, Jonathan Kemper - unsplash, Ivan Oleynikov - unsplash, FN, SN

März 28, 2025 — Karl-Heinz Reinold